Bundesrecht - tagaktuell konsolidiert - alle Fassungen seit 2006
Vorschriftensuche
 

Verordnung zur Regelung weiterer Voraussetzungen der Erreichbarkeit erwerbsfähiger Leistungsberechtigter nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Erreichbarkeits-Verordnung - ErrV)

V. v. 28.07.2023 BGBl. 2023 I Nr. 207
Geltung ab 08.08.2023; FNA: 860-2-21 Sozialgesetzbuch

Eingangsformel



Auf Grund des § 13 Absatz 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, der durch Artikel 1 Nummer 14 des Gesetzes vom 16. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2328) neu gefasst worden ist, verordnet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales:


§ 1 Näherer Bereich



(1) Dienststelle im Sinne des § 7b Absatz 1 Satz 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch ist die für die Eingliederung der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person zuständige Dienststelle des örtlich zuständigen Jobcenters.

(2) 1Die Möglichkeit, die Dienststelle nach Absatz 1 in einer angemessenen Zeitspanne und ohne unzumutbaren oder die Eigenleistungsfähigkeit übersteigenden Aufwand aufzusuchen, ist gegeben, wenn die einfache Wegstrecke zur zuständigen Dienststelle in höchstens zweieinhalb Stunden bewältigt werden kann. 2Sind in einer Region aufgrund örtlicher Gegebenheiten längere Wegezeiten erforderlich, so wird im Einzelfall eine entsprechend längere Zeitspanne als angemessen anerkannt. 3Der Bereich im grenznahen Ausland, der nach § 7b Absatz 1 Satz 4 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch zum näheren Bereich zählt, ist der Bereich, der sich von der Grenze der Bundesrepublik Deutschland in einer Tiefe von 30 Kilometern in das ausländische Hoheitsgebiet erstreckt.

(3) Absatz 2 gilt entsprechend für die Erreichbarkeit eines möglichen Arbeitsorts oder des Ortes, an dem die Integrationsmaßnahme durchgeführt wird.


§ 2 Möglichkeit der werktäglichen Kenntnisnahme



(1) 1Die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person hat sicherzustellen, dass sie Mitteilungen und Aufforderungen des zuständigen Jobcenters werktäglich zur Kenntnis nehmen kann. 2Die Möglichkeit der Kenntnisnahme liegt auch vor, wenn die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person sicherstellt, dass Mitteilungen und Aufforderungen durch Dritte zur Kenntnis genommen werden können und eine entsprechende Information durch diese an die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person erfolgt.

(2) 1Werktage im Sinne des § 7b Absatz 1 Satz 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und dieser Verordnung sind die Wochentage Montag bis Samstag. 2Ausgenommen sind die gesetzlichen Feiertage.

(3) Bei Mitteilungen und Aufforderungen, die samstags oder einen Tag vor gesetzlichen Feiertagen zugehen, ist es für die Annahme der Erreichbarkeit ausreichend, wenn sie vor Beginn des nächsten Werktags zur Kenntnis genommen werden können.

(4) 1Bei einer erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person ohne festen Wohnsitz wird das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 angenommen, wenn sie die Dienststelle im Sinne des § 1 Absatz 1 einmal pro Leistungsmonat persönlich aufsucht. 2Sie muss der Dienststelle anlässlich der Vorsprache nach Satz 1 mitteilen, auf welchem Weg eine Kontaktaufnahme möglich ist.


§ 3 Weitere wichtige Gründe



1Ein wichtiger Grund für einen Aufenthalt außerhalb des näheren Bereichs nach § 7b Absatz 2 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch liegt neben den in § 7b Absatz 2 Satz 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch genannten Fällen vor, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte den näheren Bereich verlassen, um Angehörige nach § 16 Absatz 5 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch zu unterstützen

1.
im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes,

2.
wegen Pflegebedürftigkeit oder

3.
im Todesfall eines oder einer Angehörigen nach § 16 Absatz 5 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch.

2Voraussetzung für die Anerkennung eines wichtigen Grundes nach Satz 1 ist, dass die Unterstützung erforderlich ist und die Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit nicht wesentlich beeinträchtigt wird. 3Auf Aufforderung des Jobcenters haben die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten die Erforderlichkeit der Unterstützungsleistung nachzuweisen.


§ 4 Zustimmungsverfahren



(1) 1Die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person soll die Zustimmung der zuständigen Dienststelle des örtlich zuständigen Jobcenters zu einem Aufenthalt außerhalb des näheren Bereichs in der Regel spätestens fünf Werktage vor dem Verlassen des näheren Bereichs beantragen. 2Für Abwesenheiten, die sich nur auf Samstage, Sonntage oder Feiertage beziehen, ist keine Zustimmung erforderlich, wenn die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person sicherstellt, dass sie die zugehenden Mitteilungen und Aufforderungen vor dem nächsten Werktag zur Kenntnis nehmen kann. 3§ 6 dieser Verordnung sowie § 7b Absatz 2 Satz 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch bleiben unberührt.

(2) 1Die Zustimmung kann nach dem Verlassen des näheren Bereichs beantragt werden, wenn es der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person nicht oder nicht rechtzeitig möglich war, die Zustimmung vor dem Verlassen zu beantragen. 2Der nachträgliche Antrag auf Zustimmung muss unverzüglich nach Wegfall der Gründe gestellt werden, die einer vorherigen Antragstellung entgegengestanden haben.

(3) Die Zustimmung nach § 7b Absatz 2 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch ist nach Maßgabe der §§ 5 und 6 zu erteilen, wenn die Voraussetzungen des wichtigen Grundes, auf den sich der oder die erwerbsfähige Leistungsberechtigte beruft, vorliegen und die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person mitgeteilt hat, auf welchem Weg während der Abwesenheit eine Kontaktaufnahme möglich ist.

(4) 1Die nach Maßgabe des § 7b Absatz 3 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch zu erteilende Zustimmung kann frühestens drei Monate im Voraus erteilt werden. 2Bei erwerbsfähigen leistungsberechtigten Personen, die nicht arbeitslos sind, insbesondere bei Personen, die sich in Mutterschutz oder Elternzeit befinden und bei Schülerinnen oder Schülern gilt die Zustimmung mit der Antragstellung als erteilt.


§ 5 Dauer des Aufenthalts außerhalb des näheren Bereichs aus wichtigem Grund



(1) 1Die Teilnahme an einer ärztlich verordneten Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder der Rehabilitation ist ein wichtiger Grund für die Dauer der Maßnahme. 2Zu der Teilnahme gehören auch die Tage der An- und Abreise.

(2) 1Ein wichtiger Grund besteht für insgesamt bis zu drei Wochen im Kalenderjahr für die Teilnahme an einer Veranstaltung, die kirchlichen oder gewerkschaftlichen Zwecken dient oder im öffentlichen Interesse liegt. 2Der Zweck der Veranstaltung und die Teilnahme an der Veranstaltung müssen nachgewiesen werden.

(3) Im Fall von Aufenthalten außerhalb des näheren Bereichs, die überwiegend der Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit dienen, liegt ein wichtiger Grund für die erforderliche Dauer des Aufenthaltes vor.

(4) Bei der Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit liegt ein wichtiger Grund für die Dauer ihrer Ausübung vor.

(5) 1In den Fällen des § 3 liegt ein wichtiger Grund für die Dauer der erforderlichen Unterstützung vor. 2Die Dauer des Aufenthalts außerhalb des näheren Bereichs soll zwölf Wochen im Kalenderjahr nicht überschreiten.


§ 6 Aufenthalt außerhalb des näheren Bereichs aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit



1Für Aufenthalte außerhalb des näheren Bereichs während der Ausübung einer Erwerbstätigkeit in abhängiger Beschäftigung ist keine Zustimmung erforderlich, wenn die erwerbstätige leistungsberechtigte Person

1.
aus der Erwerbstätigkeit ein Einkommen oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze nach § 8 Absatz 1a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch erzielt und

2.
dem Jobcenter mitgeteilt hat, dass die Erwerbstätigkeit eine Abwesenheit erfordert.

2Für Aufenthalte außerhalb des näheren Bereichs aufgrund der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass die Abwesenheit zur Ausübung der Tätigkeit erforderlich sein muss. 3Die Mitteilung nach Satz 1 Nummer 2 soll vor dem erstmaligen Verlassen des näheren Bereichs aufgrund der Ausübung der Erwerbstätigkeit erfolgen. 4Dem Jobcenter ist zudem mitzuteilen, auf welchem Weg während der Abwesenheit eine Kontaktaufnahme möglich ist.


§ 7 Zustimmung bei Aufenthalt außerhalb des näheren Bereichs ohne wichtigen Grund



(1) 1Die nach § 7b Absatz 3 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch mögliche Zustimmung ist zu erteilen, wenn die Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit durch den Aufenthalt außerhalb des näheren Bereichs nicht wesentlich beeinträchtigt wird. 2Eine wesentliche Beeinträchtigung liegt insbesondere vor, wenn ein konkretes Ausbildungs- oder Arbeitsangebot vorliegt, das nach Ablauf des Aufenthalts außerhalb des näheren Bereichs nicht mehr angenommen werden kann. 3Die nach § 7b Absatz 3 Satz 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch mögliche Dauer des Aufenthalts außerhalb des näheren Bereichs ohne wichtigen Grund soll drei Wochen je Kalenderjahr nicht überschreiten. 4Bei Vorliegen besonderer Umstände kann die Zustimmung auch zu einem länger als drei Wochen dauernden Aufenthalt außerhalb des näheren Bereichs erteilt werden.

(2) Erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die Bürgergeld ergänzend zu Einkommen aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung beziehen, ist die Zustimmung zu einem Aufenthalt außerhalb des näheren Bereichs ohne wichtigen Grund für die Dauer ihres arbeitsvertraglichen Urlaubsanspruchs zu erteilen.


§ 8 Erreichbarkeit von Personen, die Arbeitslosengeld und Bürgergeld beziehen



Sofern die Agentur für Arbeit bei einer Person, die Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Teilarbeitslosengeld hat, den Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs nach § 3 der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997 (ANBA S. 1685; 1998 S. 1100), die zuletzt durch die Anordnung vom 26. September 2008 (ANBA Nr. 12 S. 5) geändert worden ist, anerkannt hat, so gilt für diese Person auch für den Bezug von Bürgergeld die Zustimmung für die Abwesenheit außerhalb des näheren Bereich als erteilt.


§ 9 Inkrafttreten



Diese Verordnung tritt am Tag nach der Verkündung*) in Kraft.


---
*)
Anm. d. Red.: Die Verkündung erfolgte am 7. August 2023.


Schlussformel



Der Bundesminister für Arbeit und Soziales

Hubertus Heil