Bundesrecht - tagaktuell konsolidiert - alle Fassungen seit 2006
Vorschriftensuche
 

Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG)

Artikel 5 G. v. 27.12.1993 BGBl. I S. 2378, 2396, 1994 I S. 2439; zuletzt geändert durch Artikel 3 G. v. 22.12.2023 BGBl. 2023 I Nr. 409
Geltung ab 01.01.1994; FNA: 930-9 Allgemeines Eisenbahnrecht
| |

§ 5b Eisenbahn-Unfalluntersuchung



(1) Die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung untersucht Unfälle und Störungen im Sinne des Kapitels V der Richtlinie (EU) 2016/798 (gefährliche Ereignisse im Eisenbahnbetrieb) mit Ausnahme der gefährlichen Ereignisse auf den in Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe c und Absatz 3 Buchstabe a bis c der Richtlinie (EU) 2016/798 bezeichneten Infrastrukturen, soweit diese nicht zu Eisenbahninfrastrukturen des Bundes gehören.

(2) Die Untersuchung gefährlicher Ereignisse im Eisenbahnbetrieb gemäß Absatz 1 erfolgt unabhängig von Zuständigkeiten und Befugnissen der Aufsichtsbehörden, Sicherheitsbehörden, Regulierungsbehörden, Strafverfolgungsbehörden, Konformitätsbewertungsstellen, Eisenbahnen, Haltern von Eisenbahnfahrzeugen und den für die Instandhaltung zuständigen Stellen.

(3) 1Eine Stelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung hat zur Erfüllung ihrer Aufgaben gegenüber den Eisenbahnen und anderen Beteiligten eines gefährlichen Ereignisses im Eisenbahnbetrieb die Befugnisse einer Eisenbahnaufsichtsbehörde nach § 5a Absatz 4 bis 6, 8a und 9. 2Darüber hinaus ist der Stelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung und ihren Bediensteten und Beauftragten auf Verlangen von den Eisenbahnen und anderen Beteiligten eines gefährlichen Ereignisses im Eisenbahnbetrieb

1.
ungehinderter Zugang zum Ort des gefährlichen Ereignisses sowie zu Fahrzeugen und Fahrzeugteilen und zu deren Ladung sowie zu der mit dem gefährlichen Ereignis im Zusammenhang stehenden Infrastruktur und den Sicherungsanlagen,

2.
die unverzügliche Spurenaufnahme und dokumentierte Entnahme von Gegenständen und Bauteilen zu Untersuchungs- oder Auswertezwecken,

3.
unverzüglicher Zugang zu Aufzeichnungsanlagen, Aufzeichnungsträgern und sonstigen Aufzeichnungen sowie deren Auswertung,

4.
Zugang zu den Ergebnissen einer Untersuchung toter oder verletzter Personen oder von Proben solcher Personen,

5.
Zugang zu den Ergebnissen von Untersuchungen der beteiligten Betriebspersonale oder von entsprechenden Proben solcher Personen,

6.
ungehinderter Zugang zu allen weiteren sachdienlichen Informationen oder Aufzeichnungen

zu gewähren, soweit dies für die Erreichung des Untersuchungszwecks erforderlich ist. 3Die Sätze 1 und 2 gelten für Anlagen, Einrichtungen, Fahrzeuge der Bundeswehr und deren Ladung sowie Angehörige der Bundeswehr nur insoweit, wie Belange der militärischen Sicherheit nicht beeinträchtigt werden.

(4) 1Auf Verlangen einer Stelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung sind die an gefährlichen Ereignissen beteiligten Eisenbahnen und die für sie tätigen Personen verpflichtet, die Stelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung bei einer Untersuchung zu unterstützen durch

1.
Überführung von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen in zur weiteren Untersuchung geeignete Werkstätten,

2.
Auslesung und Auswertung von fahrzeugseitigen Diagnoseeinrichtungen,

3.
Sicherung von Beweisen an der Ereignisstelle und hiervon abgesetzter Infrastruktureinrichtungen wie durch Messzugfahrten sowie Auslesung und Auswertung von Sicherungsanlagen.

2Die Möglichkeit eines zivilrechtlichen Rückgriffs auf den Verursacher des gefährlichen Ereignisses bleibt unberührt.

(5) 1Die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes über die Ermittlung des Sachverhaltes im Verwaltungsverfahren gelten für die Untersuchung gefährlicher Ereignisse im Eisenbahnbetrieb entsprechend. 2Eine Stelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung ist befugt, eine Versicherung an Eides statt zu verlangen. 3Zeugen und Sachverständige sind zur Aussage oder zur Erstattung eines Gutachtens verpflichtet; § 5a Absatz 5 Satz 3 sowie § 65 Absatz 1 Satz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes gelten entsprechend. 4Zeugen und Sachverständige sind auf Antrag nach Maßgabe des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen zu entschädigen.

(6) 1Dem Bund obliegt die Untersuchung von gefährlichen Ereignissen im Eisenbahnbetrieb auf Eisenbahninfrastrukturen, die seiner Eisenbahnaufsicht unterliegen. 2Der Bund nimmt die Aufgabe der Stelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung durch die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung wahr. 3In allen anderen Fällen liegt die Zuständigkeit bei der vom Land bestimmten Stelle.

(7) Die Aufgaben und Befugnisse der für die Strafverfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten zuständigen Behörden bleiben unberührt.

(8) 1Die Aufgaben und Befugnisse der für die Gefahrenabwehr zuständigen Eisenbahnaufsichtsbehörden bleiben unberührt. 2Einzelheiten des Vorgehens an der Unfallstelle sind in einer Verwaltungsvereinbarung zu regeln.




§ 5c Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Daten



(1) 1Eine Stelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung darf im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 5b Absatz 3 personenbezogene Daten aller an dem gefährlichen Ereignis im Eisenbahnbetrieb beteiligten oder von diesem betroffenen Personen sowie von Zeugen und anderen Personen, die im Rahmen der Untersuchung dieses gefährlichen Ereignisses Aussagen machen, erheben, verarbeiten und nutzen, soweit dies für die Erfüllung des Untersuchungsauftrags nach § 5b Absatz 1 erforderlich ist. 2Ebenso stellen sie die beteiligten Eisenbahn- und gegebenenfalls Straßenfahrzeuge mit identifizierenden Fahrzeug- und Halterdaten fest.

(2) Personenbezogene Daten im Sinne des Absatzes 1 sind

1.
Name und Vorname,

2.
Anschrift und Telekommunikationsinformationen,

3.
Stellung im Eisenbahnbetrieb oder in der Eisenbahn,

4.
die nachgewiesenen Befähigungen gemäß § 54 Absatz 1 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung,

5.
Beruf und beruflicher Werdegang,

6.
Betriebsdiensttauglichkeit gemäß § 48 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung,

7.
Angaben zum aktuellen Gesundheitszustand und zu Vorerkrankungen, soweit hierin ein Bezug zum gefährlichen Ereignis gesehen werden kann.

(3) Die nach Absatz 1 oder weiteren Vorschriften dieses Gesetzes erhobenen und gespeicherten personenbezogenen Daten, insbesondere vertrauliche Erklärungen, sind durch technisch-organisatorische Maßnahmen gegen unbefugte Nutzung und dabei insbesondere gegen unbefugte Einsichtnahme besonders zu schützen.

(4) Die nach Absatz 1 erhobenen Daten werden entweder automatisiert oder nicht automatisiert in Akten gespeichert.




§ 5d Vertraulichkeit



(1) Eine Stelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung darf vorbehaltlich des § 5e die nachstehenden Informationen und Daten zu keinem anderen Zweck als dem einer Untersuchung eines gefährlichen Ereignisses im Eisenbahnbetrieb freigeben:

1.
sämtliche Zeugenaussagen und sonstige Erklärungen, Berichte und Aufzeichnungen (Aufzeichnungen), die von der Stelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung im Verlauf der Untersuchung des gefährlichen Ereignisses erfasst oder niedergeschrieben worden sind,

2.
Informationen, die die Identität von Personen preisgeben, die im Rahmen der Untersuchung des gefährlichen Ereignisses ausgesagt haben, oder

3.
Informationen besonders empfindlicher und privater Natur, einschließlich gesundheitsbezogene Informationen über Personen, die von dem gefährlichen Ereignis betroffen sind.

(2) Die Aufzeichnungen werden in den Untersuchungsbericht oder in seine Anhänge nur in zusammengefasster und anonymisierter Form und nur dann aufgenommen, wenn sie von Belang für die Analyse des untersuchten gefährlichen Ereignisses sind.

(3) Eine Stelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung erteilt ihre Zustimmung zur Teilnahme eines bevollmächtigten Vertreters einer ausländischen Stelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung, sofern nichts anderes vorgeschrieben ist, nur dann, wenn der bevollmächtigende Staat zugesichert hat, dass er hinsichtlich der Verfügbarkeit der Nachweismittel die Gegenseitigkeit gewährt und dass er im Sinne des Abschnitts V der Richtlinie (EU) 2016/798 eine Freigabe der gewonnenen Unterlagen und Erkenntnisse nur vornimmt, soweit dies unter den Einschränkungen der Absätze 1 und 2 zulässig ist.

(4) Aussagen einer Person im Rahmen der Untersuchung nach diesem Abschnitt dürfen nicht zu Lasten des Aussagenden verwertet werden.




§ 5e Übermittlung an öffentliche Stellen



(1) 1Eine Übermittlung der in § 5d Absatz 1 bezeichneten Informationen und Daten an öffentliche Stellen ist zulässig, soweit im öffentlichen Interesse die Übermittlung für

1.
die Sicherheit im Eisenbahnbetrieb,

2.
die Erteilung oder die Entziehung von Sicherheitsbescheinigungen für Eisenbahnverkehrsunternehmen oder Sicherheitsgenehmigungen für Eisenbahninfrastrukturunternehmen,

3.
die Durchführung eines Strafverfahrens und die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit dem gefährlichen Ereignis

erforderlich ist. 2Ferner ist eine Übermittlung der in § 5d Absatz 1 bezeichneten Informationen und Daten an die zuständigen Polizeibehörden zum Zweck der Information von Angehörigen der vom gefährlichen Ereignis Betroffenen zulässig, soweit dies zur Wahrung berechtigter Interessen dieser Personen erforderlich ist.

(2) 1Im Falle einer nach Absatz 1 zulässigen Übermittlung sind personenbezogene Daten in den Aufzeichnungen zu anonymisieren, es sei denn, dies wäre mit dem Zweck der Übermittlung unvereinbar. 2Teile von Aufzeichnungen, die im Sinne des § 5d Absatz 2 belanglos und nicht im Untersuchungsbericht enthalten sind, werden - ausgenommen im Falle des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 - nicht übermittelt.

(3) 1Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 kann Akteneinsicht gewährt werden, wenn die Übermittlung von Daten einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert oder die die Akteneinsicht begehrende öffentliche Stelle unter Angaben von Gründen erklärt, dass die Übermittlung von Informationen und Daten zur Erfüllung ihrer Aufgabe nicht ausreichen würde. 2Satz 1 gilt entsprechend für Angehörige der vom gefährlichen Ereignis Betroffenen, wenn dies für ihre Unterrichtung erforderlich ist. 3§ 96 Satz 1 der Strafprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(4) 1Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 und 2 in Verbindung mit Absatz 2 Satz 1 und unter Berücksichtigung des § 5d können Akten und Berichte einer Stelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung auf Ersuchen zur Einsichtnahme öffentlichen Stellen übersandt werden, soweit dies für Zwecke der Strafverfolgung, für Zwecke der Rechtspflege und für Verwaltungsverfahren, die mit dem Ereignis und seinen Folgen in unmittelbarem Zusammenhang stehen, erforderlich ist. 2§ 96 Satz 1 der Strafprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(5) 1Eine Stelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung darf Daten im Sinne des § 5c zu den in Absatz 1 Satz 1 genannten Zwecken an ausländische Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstellen und die Eisenbahnagentur der Europäischen Union übermitteln, soweit dies jeweils zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der empfangenden Stellen liegenden Aufgaben erforderlich ist, schutzwürdige Interessen eines Betroffenen nicht beeinträchtigt werden und bei den genannten Stellen ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet ist. 2Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verarbeitet und genutzt werden dürfen, zu dessen Erfüllung sie ihm übermittelt worden sind.




§ 5f Aufbewahrungs- und Löschungsfristen



(1) 1Die Frist für die Aufbewahrung von Akten beträgt bei Unfällen mit tödlichem Ausgang 30 Jahre. 2Alle anderen Akten werden 20 Jahre aufbewahrt.

(2) Automatisiert und nicht automatisiert in Dateien gespeicherte Daten werden bei Unfällen mit tödlichem Ausgang nach Ablauf von 30 Jahren, im Übrigen nach Ablauf von 20 Jahren gelöscht.

(3) 1Die Frist nach den Absätzen 1 und 2 beginnt mit dem Abschluss der jeweiligen Untersuchung eines gefährlichen Ereignisses im Eisenbahnbetrieb. 2§ 187 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und § 2 Absatz 1 bis 6, 8 und 9 des Bundesarchivgesetzes sind anzuwenden.