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Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz - VAG)

Artikel 1 G. v. 01.04.2015 BGBl. I S. 434 (Nr. 14); zuletzt geändert durch Artikel 6 G. v. 28.11.2024 BGBl. 2024 I Nr. 377
Geltung ab 01.01.2016, abweichend siehe Artikel 3; FNA: 7631-11 Versicherungsaufsichtsrecht
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Teil 2 Vorschriften für die Erstversicherung und die Rückversicherung

Kapitel 2 Finanzielle Ausstattung

Abschnitt 2 Solvabilitätsanforderungen

Unterabschnitt 2 Solvabilitätskapitalanforderung

§ 96 Ermittlung der Solvabilitätskapitalanforderung



(1) 1Die Solvabilitätskapitalanforderung kann mit Hilfe einer Standardformel oder eines internen Modells ermittelt werden. 2In beiden Fällen gelten für die Ermittlung der Solvabilitätskapitalanforderung die Vorschriften des § 97.

(2) Weicht das Risikoprofil des Versicherungsunternehmens wesentlich von den Annahmen ab, die der Berechnung mit der Standardformel zugrunde liegen, kann die Aufsichtsbehörde anordnen, dass das Versicherungsunternehmen ein internes Modell zur Berechnung der Solvabilitätskapitalanforderung oder der relevanten Risikomodule dieser Anforderung innerhalb eines angemessenen Zeitraums entwickelt und verwendet.


§ 97 Berechnung der Solvabilitätskapitalanforderung



(1) Die Berechnung der Solvabilitätskapitalanforderung hat unter der Annahme der Unternehmensfortführung zu erfolgen.

(2) 1Die Solvabilitätskapitalanforderung muss so kalibriert werden, dass alle quantifizierbaren Risiken, denen ein Versicherungsunternehmen ausgesetzt ist, widergespiegelt werden. 2Dabei sind sowohl der aktuelle Geschäftsumfang als auch die in den nächsten zwölf Monaten erwarteten neuen Geschäfte zugrunde zu legen. 3In Bezug auf den aktuellen Geschäftsumfang deckt die Solvabilitätskapitalanforderung nur unerwartete Verluste ab. 4Sie entspricht dem Value-at-Risk der Basiseigenmittel eines Versicherungsunternehmens zu einem Konfidenzniveau von 99,5 Prozent über einen Zeitraum von einem Jahr.

(3) 1Der Betrag der Solvabilitätskapitalanforderung hat mindestens die folgenden Risiken abzudecken:

1.
das nichtlebensversicherungstechnische Risiko,

2.
das lebensversicherungstechnische Risiko,

3.
das krankenversicherungstechnische Risiko,

4.
das Marktrisiko,

5.
das Kreditrisiko und

6.
das operationelle Risiko.

2Das operationelle Risiko umfasst auch Rechtsrisiken. 3Es umfasst jedoch weder Reputationsrisiken noch Risiken, die sich aus strategischen Entscheidungen ergeben.

(4) Bei der Ermittlung der Solvabilitätskapitalanforderung sind Auswirkungen von Techniken zur Risikominderung zu berücksichtigen, sofern dem Kreditrisiko und anderen Risiken, die sich aus dem Einsatz dieser Techniken ergeben können, in der Solvabilitätskapitalanforderung angemessen Rechnung getragen wird.


§ 98 Häufigkeit der Berechnung



(1) 1Die Versicherungsunternehmen müssen die Solvabilitätskapitalanforderung mindestens einmal im Jahr berechnen und das Ergebnis dieser Berechnung der Aufsichtsbehörde melden. 2Die Versicherungsunternehmen überwachen laufend die Höhe der Solvabilitätskapitalanforderung und den Betrag der vorhandenen anrechnungsfähigen Eigenmittel.

(2) Weicht das Risikoprofil eines Versicherungsunternehmens wesentlich von den Annahmen ab, die Grundlage der zuletzt gemeldeten Solvabilitätskapitalanforderung waren, so hat das Unternehmen die Solvabilitätskapitalanforderung unverzüglich neu zu berechnen und der Aufsichtsbehörde zu melden.

(3) Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass sich das Risikoprofil des Versicherungsunternehmens seit der letzten Meldung der Solvabilitätskapitalanforderung wesentlich verändert hat, kann die Aufsichtsbehörde von dem Unternehmen die Neuberechnung der Solvabilitätskapitalanforderung verlangen.


§ 99 Struktur der Standardformel



Wird die Solvabilitätskapitalanforderung mit der Standardformel berechnet, so setzt sie sich aus den folgenden Bestandteilen zusammen:

1.
der Basissolvabilitätskapitalanforderung gemäß den §§ 100 bis 106,

2.
der Kapitalanforderung für das operationelle Risiko gemäß § 107 und

3.
der Anpassung für die Verlustausgleichsfähigkeit der versicherungstechnischen Rückstellungen und latenten Steuern gemäß § 108.


§ 100 Aufbau der Basissolvabilitätskapitalanforderung



(1) 1Die Basissolvabilitätskapitalanforderung umfasst einzelne Risikomodule, die gemäß der Anlage 3 aggregiert werden. 2Sie umfasst mindestens die folgenden Risikomodule:

1.
das nichtlebensversicherungstechnische Risiko,

2.
das lebensversicherungstechnische Risiko,

3.
das krankenversicherungstechnische Risiko,

4.
das Marktrisiko und

5.
das Gegenparteiausfallrisiko.

3Versicherungsgeschäfte sind demjenigen versicherungstechnischen Risikomodul zuzuweisen, das der technischen Wesensart der zugrunde liegenden Risiken am besten entspricht.

(2) Die Korrelationskoeffizienten für die Aggregation der in Absatz 1 genannten Risikomodule und die Kalibrierung der Kapitalanforderungen für jedes Risikomodul müssen zu einer Gesamtsolvabilitätskapitalanforderung führen, die den in § 97 genannten Prinzipien genügt.

(3) 1Jedes der in Absatz 1 genannten Risikomodule wird unter Verwendung des Risikomaßes Value-at-Risk zu dem Konfidenzniveau von 99,5 Prozent über den Zeitraum von einem Jahr kalibriert. 2Gegebenenfalls sind Diversifikationseffekte beim Aufbau der Risikomodule zu berücksichtigen.

(4) Der Aufbau und die Spezifikationen für die Risikomodule müssen für alle Versicherungsunternehmen sowohl im Hinblick auf die Basissolvabilitätskapitalanforderung als auch im Hinblick auf Berechnungsvereinfachungen gemäß § 109 Absatz 1 gleich sein.

(5) Im Hinblick auf Risiken, die aus Katastrophen herrühren, können geographische Besonderheiten bei der Berechnung der lebensversicherungstechnischen, nichtlebensversicherungstechnischen und krankenversicherungstechnischen Module zugrunde gelegt werden.


§ 101 Nichtlebensversicherungstechnisches Risikomodul



(1) 1Das nichtlebensversicherungstechnische Risikomodul gibt das sich aus Nichtlebensversicherungsverpflichtungen ergebende Risiko in Bezug auf die abgedeckten Risiken und die verwendeten Prozesse bei der Ausübung des Geschäfts wieder. 2Das Risikomodul hat die Ungewissheit der Ergebnisse der Versicherungsunternehmen im Hinblick auf die bestehenden Versicherungsverpflichtungen und auf die in den folgenden zwölf Monaten erwarteten neuen Geschäfte zu berücksichtigen.

(2) Das nichtlebensversicherungstechnische Risikomodul wird gemäß der Anlage 3 berechnet als eine Kombination der Kapitalanforderungen für mindestens dasjenige Risiko eines Verlusts oder einer nachteiligen Veränderung des Wertes der Versicherungsverbindlichkeiten, das sich ergibt aus:

1.
Schwankungen in Bezug auf das Eintreten, die Häufigkeit und die Schwere der versicherten Ereignisse und in Bezug auf die Dauer und den Betrag der Schadenabwicklung (Nichtlebensversicherungsprämienrisiko und -reserverisiko) sowie

2.
einer wesentlichen Ungewissheit in Bezug auf die Preisfestlegung und die Annahmen bei der Bildung der versicherungstechnischen Rückstellungen für extreme oder außergewöhnliche Ereignisse (Nichtlebenskatastrophenrisiko).


§ 102 Lebensversicherungstechnisches Risikomodul



(1) Das lebensversicherungstechnische Risikomodul gibt das sich aus Lebensversicherungsverpflichtungen ergebende Risiko in Bezug auf die abgedeckten Risiken und die verwendeten Prozesse bei der Ausübung des Geschäfts wieder.

(2) Das lebensversicherungstechnische Risikomodul wird gemäß der Anlage 3 berechnet als eine Kombination der Kapitalanforderungen für mindestens dasjenige Risiko eines Verlusts oder einer nachteiligen Veränderung des Wertes der Versicherungsverbindlichkeiten, das sich ergibt aus:

1.
Veränderungen in der Höhe, im Trend oder in der Volatilität der Sterblichkeitsraten, wenn der Anstieg der Sterblichkeitsrate zu einem Anstieg des Wertes der Versicherungsverbindlichkeiten führt (Sterblichkeitsrisiko),

2.
Veränderungen in der Höhe, im Trend oder in der Volatilität der Sterblichkeitsraten, wenn der Rückgang der Sterblichkeitsrate zu einem Anstieg des Wertes der Versicherungsverbindlichkeiten führt (Langlebigkeitsrisiko),

3.
Veränderungen in der Höhe, im Trend oder in der Volatilität der Invaliditäts-, Krankheits- und Morbiditätsraten (Invaliditäts-, Morbiditätsrisiko),

4.
Veränderungen in der Höhe, im Trend oder in der Volatilität der bei der Verwaltung von Versicherungsverträgen anfallenden Kosten (Lebensversicherungskostenrisiko),

5.
Veränderungen in der Höhe, im Trend oder in der Volatilität der Revisionsraten für Rentenversicherungen auf Grund von Rechtsänderungen oder der gesundheitlichen Verfassung des Versicherten (Revisionsrisiko),

6.
Veränderungen in der Höhe oder in der Volatilität der Storno-, Kündigungs-, Verlängerungs- und Rückkaufsraten von Versicherungspolicen (Stornorisiko) und

7.
einer wesentlichen Ungewissheit in Bezug auf die Annahmen über extreme oder außergewöhnliche Ereignisse bei der Preisfestlegung und bei der Bildung versicherungstechnischer Rückstellungen (Lebensversicherungskatastrophenrisiko).


§ 103 Krankenversicherungstechnisches Risikomodul



(1) 1Das krankenversicherungstechnische Risikomodul gibt das sich aus Krankenversicherungsverpflichtungen ergebende Risiko in Bezug auf die abgedeckten Risiken und verwendeten Prozesse bei der Ausübung des Geschäfts wieder. 2Dies gilt unabhängig davon, ob die Krankenversicherung nach Art der Lebensversicherung betrieben wird.

(2) Das krankenversicherungstechnische Risikomodul umfasst mindestens das Risiko eines Verlusts oder einer nachteiligen Veränderung des Wertes der Versicherungsverbindlichkeiten, das sich ergibt aus

1.
Veränderungen in der Höhe, im Trend oder in der Volatilität der bei der Bedienung von Versicherungsverträgen angefallenen Kosten,

2.
Schwankungen in Bezug auf das Eintreten, die Häufigkeit und die Schwere der versicherten Ereignisse sowie in Bezug auf die Dauer und den Betrag der Regulierungen zum Zeitpunkt der Bildung der versicherungstechnischen Rückstellungen und

3.
einer wesentlichen Ungewissheit der Annahmen in Bezug auf die Preisfestlegung und die Bildung versicherungstechnischer Rückstellungen im Hinblick auf den Ausbruch größerer Epidemien sowie der ungewöhnlichen Häufung der unter diesen extremen Umständen auftretenden Risiken.


§ 104 Marktrisikomodul



(1) 1Das Marktrisikomodul deckt das Risiko ab, das sich ergibt aus der Höhe oder der Volatilität der Marktpreise von Finanzinstrumenten, die sich auf die Bewertung des Vermögens und der Verbindlichkeiten des Unternehmens auswirken. 2Es hat die strukturelle Inkongruenz zwischen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten, insbesondere bezüglich deren Laufzeit, angemessen widerzuspiegeln.

(2) 1Das Marktrisikomodul wird gemäß der Anlage 3 berechnet als eine Kombination der Kapitalanforderungen im Hinblick auf die Sensitivität der Werte von Vermögensteilen, Verbindlichkeiten und Finanzinstrumenten in Bezug auf mindestens folgende Veränderungen:

1.
Veränderungen der Zinskurve oder der Volatilität der Zinssätze (Zinsänderungsrisiko),

2.
Veränderungen der Höhe oder der Volatilität der Marktpreise von Aktien (Aktienrisiko),

3.
Veränderungen der Höhe oder der Volatilität der Marktpreise von Immobilien (Immobilienrisiko),

4.
Veränderungen der Höhe oder der Volatilität der Kreditspreads über der risikofreien Zinskurve (Spread-Risiko) und

5.
Veränderungen der Höhe oder der Volatilität der Wechselkurse (Wechselkursrisiko).

2Zusätzliche Risiken, die entweder durch eine mangelnde Diversifikation des Anlageportfolios oder durch eine hohe Exponierung gegenüber dem Ausfallrisiko eines einzelnen Wertpapieremittenten oder einer Gruppe verbundener Emittenten bedingt sind (Marktrisikokonzentrationen), sind ebenfalls zu berechnen.


§ 105 Gegenparteiausfallrisikomodul



(1) Das Gegenparteiausfallrisikomodul trägt möglichen Verlusten Rechnung, die sich aus einem unerwarteten Ausfall oder der Verschlechterung der Bonität von Gegenparteien und Schuldnern des Versicherungsunternehmens während der nächsten zwölf Monate ergeben.

(2) 1Das Gegenparteiausfallrisikomodul umfasst

1.
Verträge zur Risikominderung wie Rückversicherungsvereinbarungen, Verbriefungen und Derivate,

2.
Forderungen gegenüber Vermittlern und

3.
alle sonstigen Kreditrisiken, die nicht vom Spread-Risiko gemäß § 104 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 abgedeckt werden.

2Das Gegenparteiausfallrisikomodul berücksichtigt in angemessener Weise akzessorische und sonstige Sicherheiten zugunsten der Versicherungsunternehmen, einschließlich der mit diesen Sicherheiten verbundenen Risiken.

(3) Das Gegenparteiausfallrisikomodul berücksichtigt für jede Gegenpartei die Gesamtrisikoexponierung des Versicherungsunternehmens in Bezug auf diese Gegenpartei unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung der vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Gegenpartei.


§ 106 Aktienrisikountermodul



(1) Das Aktienrisikountermodul schließt eine symmetrische Anpassung des Faktors im Szenario für Aktienanlagen ein, der das Risiko aus Veränderungen des Aktienkursniveaus erfasst.

(2) 1Die Anpassung der gemäß § 100 Absatz 3 kalibrierten Standardkapitalanforderung für Aktienanlagen wird als Funktion der aktuellen Höhe eines geeigneten Aktienindexes und eines gewichteten Durchschnitts dieses Indexes berechnet. 2Der gewichtete Durchschnitt wird über einen angemessenen Zeitraum ermittelt, der für alle Versicherungsunternehmen gleich ist.

(3) Die Anpassung darf nicht zu einem Faktor im Szenario für Aktienanlagen führen, der mehr als 10 Prozentpunkte über oder unter dem Standardfaktor für Aktienanlagen liegt.


§ 107 Kapitalanforderung für das operationelle Risiko



(1) 1Die Kapitalanforderung für das operationelle Risiko deckt operationelle Risiken ab, soweit diese nicht bereits in den in § 100 genannten Risikomodulen berücksichtigt werden. 2Sie ist gemäß § 97 Absatz 2 zu kalibrieren.

(2) In Bezug auf Lebensversicherungsverträge, bei denen das Anlagerisiko von den Versicherungsnehmern getragen wird, muss die Berechnung der Kapitalanforderung für das operationelle Risiko den Betrag der Kosten berücksichtigen, die jährlich für die Verpflichtungen aus diesen Versicherungen angefallen sind.

(3) 1In Bezug auf Versicherungsgeschäfte, die nicht unter Absatz 2 fallen, muss die Berechnung der Kapitalanforderung für das operationelle Risiko das Volumen dieser Geschäfte hinsichtlich der verdienten Prämien und der versicherungstechnischen Rückstellungen berücksichtigen, die für die Verpflichtungen aus diesen Versicherungen gehalten werden. 2Dabei darf die Kapitalanforderung für die operationellen Risiken 30 Prozent der Basissolvabilitätskapitalanforderung für diese Versicherungsgeschäfte nicht überschreiten.


§ 108 Anpassung für die Verlustausgleichsfähigkeit der versicherungstechnischen Rückstellungen und latenten Steuern



(1) Die in § 99 Nummer 3 genannte Anpassung für die Verlustausgleichsfähigkeit der versicherungstechnischen Rückstellungen und latenten Steuern berücksichtigt den möglichen Ausgleich unerwarteter Verluste durch eine gleichzeitige Verringerung der versicherungstechnischen Rückstellungen, der latenten Steuern oder eine Kombination von beidem.

(2) 1Diese Anpassung berücksichtigt den risikomindernden Effekt, den künftige Überschussbeteiligungen aus Versicherungsverträgen erzeugen, in dem Maße, wie Versicherungsunternehmen nachweisen können, dass eine Reduzierung dieser Überschussbeteiligungen zum Ausgleich unerwarteter Verluste verwendet werden kann. 2Der durch künftige Überschussbeteiligungen erzeugte risikomindernde Effekt darf nicht höher sein als die Summe aus versicherungstechnischen Rückstellungen und latenten Steuern, die mit diesen künftigen Überschussbeteiligungen in Verbindung stehen.

(3) Für die Zwecke des Absatzes 2 wird der Wert der künftigen Überschussbeteiligungen unter ungünstigen Umständen mit dem Wert der Überschussbeteiligungen gemäß den Basisannahmen für die Berechnung des besten Schätzwerts verglichen.


§ 109 Abweichungen von der Standardformel



(1) 1Versicherungsunternehmen können eine vereinfachte Berechnung für ein Untermodul oder Risikomodul verwenden, wenn Art, Umfang und Komplexität der Risiken dies rechtfertigen und es unverhältnismäßig ist, von dem Versicherungsunternehmen insoweit die Anwendung der Standardberechnung zu verlangen. 2Die vereinfachten Berechnungen müssen gemäß § 97 Absatz 2 kalibriert werden.

(2) 1Mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde können Versicherungsunternehmen bei der Berechnung der versicherungstechnischen Module eine Untergruppe von Parametern durch unternehmensspezifische Parameter ersetzen. 2Derartige Parameter werden auf der Grundlage interner Daten des Unternehmens oder auf der Grundlage von Daten, die direkt für die Geschäfte dieses Unternehmens relevant sind, unter Verwendung standardisierter Methoden kalibriert. 3Die verwendeten Daten müssen genau, vollständig und angemessen sein.


§ 110 Wesentliche Abweichungen von den Annahmen, die der Berechnung mit der Standardformel zugrunde liegen



1Ist die Berechnung der Solvabilitätskapitalanforderung nach der Standardformel nicht zweckmäßig, weil das Risikoprofil des Versicherungsunternehmens wesentlich von den der Standardformel zugrunde gelegten Annahmen abweicht, kann die Aufsichtsbehörde dem Unternehmen aufgeben, bei der Berechnung der versicherungstechnischen Risikomodule eine Untergruppe der für die Standardformel verwendeten Parameter durch unternehmensspezifische Parameter zu ersetzen. 2Bei der Berechnung dieser spezifischen Parameter hat das Unternehmen die Anforderungen des § 97 Absatz 2 und des § 109 Absatz 2 Satz 2 und 3 einzuhalten.


Unterabschnitt 3 Interne Modelle

§ 111 Verwendung interner Modelle



(1) Versicherungsunternehmen können für die Berechnung der Solvabilitätskapitalanforderung ein internes Modell in Form eines Voll- oder Partialmodells verwenden.

(2) 1Zu dem Modell sind schriftliche interne Leitlinien zu erstellen, die bestimmen, welche Änderungen das Versicherungsunternehmen an dem internen Modell vornehmen kann. 2Die internen Leitlinien müssen festlegen, wann eine Änderung als kleinere oder größere zu qualifizieren ist.

(3) 1Die Verwendung eines Modells, die internen Leitlinien sowie ihre Änderungen, Änderungen des Modells sowie die Beendigung der Verwendung des Modells und die vollständige oder teilweise Rückkehr zur Standardformel müssen von der Aufsichtsbehörde genehmigt werden. 2Satz 1 gilt nicht für kleinere Änderungen des Modells. 3Die Aufsichtsbehörde genehmigt den Antrag, wenn die Systeme für die Risikoerkennung, die Risikomessung, die Risikoüberwachung, das Risikomanagement und die Risikoberichterstattung angemessen und insbesondere die in Absatz 4 genannten Anforderungen erfüllt sind. 4Eine vollständige oder teilweise Rückkehr zur Standardformel darf nur genehmigt werden, wenn dafür eine hinreichende Rechtfertigung besteht.

(4) Zusammen mit dem Antrag auf Genehmigung sind die internen Leitlinien nach Absatz 2 sowie Unterlagen einzureichen, aus denen hervorgeht, dass das interne Modell den Anforderungen des § 112 Absatz 2 und der §§ 115 bis 121 genügt.

(5) Die Aufsichtsbehörde entscheidet über den Antrag auf Genehmigung innerhalb von sechs Monaten nach dem Zugang des vollständigen Antrags.

(5a) 1Die Aufsichtsbehörde unterrichtet die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung im Einklang mit Artikel 35 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 über alle Anträge auf Verwendung oder Änderung eines internen Modells. 2Die Aufsichtsbehörde kann die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 um technische Unterstützung bei der Entscheidung über Anträge ersuchen.

(6) Von Versicherungsunternehmen, denen die Aufsichtsbehörde die Verwendung eines internen Modells genehmigt hat, kann die Aufsichtsbehörde eine Schätzung der Solvabilitätskapitalanforderung gemäß der Standardformel nach den §§ 96 bis 110 verlangen.




§ 112 Interne Modelle in Form von Partialmodellen



(1) 1Interne Modelle in Form von Partialmodellen werden genehmigt für die Berechnung

1.
eines oder mehrerer Risikomodule oder Untermodule der Basissolvabilitätskapitalanforderung gemäß den §§ 101 bis 106,

2.
der Kapitalanforderung für das operationelle Risiko gemäß § 107 und

3.
der Anpassung gemäß § 108.

2Partialmodelle können für die gesamte Geschäftstätigkeit oder nur für einen oder mehrere Hauptgeschäftsbereiche angewendet werden.

(2) 1Die §§ 115 bis 121 sind entsprechend anzuwenden; dem begrenzten Anwendungsbereich des Modells ist Rechnung zu tragen. 2Darüber hinaus muss

1.
die sich aus dem Modell ergebende Solvabilitätskapitalanforderung dem Risikoprofil des Versicherungsunternehmens besser Rechnung tragen als die nach der Standardformel berechnete Solvabilitätskapitalanforderung und

2.
das Modell

a)
den Grundsätzen der §§ 96 bis 98 entsprechen sowie

b)
vollständig in die Standardformel für die Solvabilitätskapitalanforderung integrierbar und in seinem Aufbau mit den §§ 96 bis 98 konsistent sein.

(3) Das Versicherungsunternehmen muss in angemessenem Umfang begründen, dass der begrenzte Anwendungsbereich des Modells gerechtfertigt ist.

(4) Deckt das Partialmodell nur bestimmte Untermodule eines Risikomoduls oder einige Geschäftsbereiche eines Versicherungsunternehmens in Bezug auf ein spezielles Risikomodul oder Teile von beiden ab, kann die Aufsichtsbehörde die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Modells auf weitere Untermodule oder Geschäftsbereiche eines Risikomoduls im Wege eines Übergangsplans verlangen, bis der überwiegende Teil der Versicherungsgeschäfte in Bezug auf dieses Risikomodul abgedeckt ist.


§ 113 Verantwortung des Vorstands; Mitwirkung Dritter



(1) Der Vorstand ist selbst verantwortlich

1.
für den Antrag auf Verwendung des internen Modells gemäß § 111 Absatz 3 und den Antrag auf Genehmigung späterer größerer Änderungen des Modells,

2.
für die Einführung von Systemen, die sicherstellen, dass das interne Modell durchgehend ordnungsgemäß funktioniert,

3.
für die kontinuierliche Angemessenheit des Aufbaus und der Funktionsweise des internen Modells und

4.
dafür, dass das interne Modell jederzeit das Risikoprofil des Versicherungsunternehmens angemessen abbildet.

(2) Die vollständige oder teilweise Bereitstellung des Modells oder von Daten durch Dritte entbindet das Versicherungsunternehmen nicht von der Pflicht, die Anforderungen der §§ 115 bis 121 an das interne Modell zu erfüllen.


§ 114 Nichterfüllung der Anforderungen an das interne Modell



(1) Wenn Versicherungsunternehmen nach der Erteilung der aufsichtsbehördlichen Genehmigung zur Verwendung eines internen Modells nicht mehr die Anforderungen der §§ 115 bis 121 erfüllen, müssen sie der Aufsichtsbehörde unverzüglich einen Plan vorlegen, wie die Anforderungen innerhalb eines angemessenen Zeitraums wieder eingehalten werden können, oder den Nachweis erbringen, dass die Nichteinhaltung der Anforderungen sich nur unwesentlich auswirkt.

(2) Wird der Plan nach Absatz 1 nicht ordnungsgemäß umgesetzt, kann die Aufsichtsbehörde zur Berechnung der Solvabilitätskapitalanforderung die Rückkehr zur Standardformel anordnen.


§ 115 Verwendungstest



(1) Das interne Modell muss in erheblichem Maße zur Unternehmenssteuerung verwendet werden und in der Geschäftsorganisation eine wichtige Rolle spielen, insbesondere

1.
im Risikomanagementsystem gemäß § 26 und in den Entscheidungsprozessen sowie

2.
in der Beurteilung des ökonomischen Kapitals und Solvabilitätskapitals sowie in den Allokationsprozessen, einschließlich der Beurteilung gemäß § 27.

(2) Die Häufigkeit der Berechnung der Solvabilitätskapitalanforderung unter Verwendung des internen Modells muss mit der Häufigkeit konsistent sein, mit der das interne Modell für die nach Absatz 1 genannten Zwecke genutzt wird.

(3) Das Versicherungsunternehmen trifft die Beweislast dafür, dass die Anforderungen der Absätze 1 und 2 erfüllt sind.


§ 116 Statistische Qualitätsstandards für Wahrscheinlichkeitsverteilungsprognosen



(1) 1Das interne Modell muss alle wesentlichen Risiken des Versicherungsunternehmens abdecken. 2Die in § 97 Absatz 3 genannten Risiken sind stets zu berücksichtigen. 3Ungeachtet der gewählten Berechnungsmethode muss die Risikoeinstufung ausreichend sein, um zu gewährleisten, dass das interne Modell in der Geschäftsorganisation, insbesondere im Risikomanagement, in den Entscheidungsprozessen und der Kapitalallokation in erheblichem Maße verwendet wird und eine wichtige Rolle im Sinne des § 115 Absatz 1 spielt.

(2) Die Versicherungsunternehmen müssen jederzeit in der Lage sein, die Plausibilität der dem internen Modell zugrunde liegenden Annahmen gegenüber der Aufsichtsbehörde nachzuweisen.

(3) 1Die Methoden zur Berechnung der dem internen Modell zugrunde liegenden Wahrscheinlichkeitsverteilungsprognose sind auf geeignete, passende und angemessene versicherungsmathematische und statistische Verfahren zu stützen. 2Sie müssen mit den Methoden konsistent sein, die für die Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen verwendet werden.

(4) Die Berechnung der Wahrscheinlichkeitsverteilungsprognose muss auf aktuellen und zuverlässigen Informationen sowie auf realistischen Annahmen aufbauen.

(5) 1Die für das interne Modell verwendeten Daten müssen genau, vollständig und angemessen sein. 2Die für die Berechnung der Wahrscheinlichkeitsverteilungsprognose verwendeten Datenreihen sind mindestens einmal jährlich zu aktualisieren.


§ 117 Sonstige statistische Qualitätsstandards



(1) Abhängigkeiten innerhalb der Risikokategorien sowie zwischen den Risikokategorien in Bezug auf Diversifikationseffekte können im internen Modell berücksichtigt werden, wenn die Systeme zur Messung der Diversifikationseffekte angemessen sind.

(2) Effekte von Risikominderungstechniken können im internen Modell berücksichtigt werden, wenn das Kreditrisiko und andere sich aus der Anwendung der Risikominderungstechniken ergebende Risiken angemessen widergespiegelt werden.

(3) 1Risiken von wesentlicher Bedeutung aus Finanzgarantien und vertraglichen Optionen sind exakt zu bewerten. 2Zusätzlich sind Risiken aus Optionen zugunsten der Versicherungsnehmer und anderer Versicherungsunternehmen zu bewerten. 3Die Auswirkungen künftiger Veränderungen der Finanz- und Nichtfinanzbedingungen auf die Ausübung dieser Optionen sind zu berücksichtigen.

(4) 1Künftigen Maßnahmen der Geschäftsleitung, die vernünftigerweise unter bestimmten Bedingungen zu erwarten sind, kann im internen Modell Rechnung getragen werden. 2Die Zeit, die die Umsetzung derartiger Maßnahmen erfordert, ist zu berücksichtigen.

(5) Zu erwartende Zahlungen an Versicherte sind unabhängig davon, ob sie vertraglich garantiert sind oder nicht, im internen Modell zu berücksichtigen.


§ 118 Kalibrierungsstandards



(1) Die Versicherungsunternehmen können abweichend von § 97 Absatz 2 im internen Modell einen anderen Zeitraum oder ein anderes Risikomaß verwenden, wenn sichergestellt ist, dass die Ergebnisse des internen Modells in einer Art und Weise zur Berechnung der Solvabilitätskapitalanforderung verwendet werden, die den Versicherten ein dem § 97 gleichwertiges Schutzniveau gewährt.

(2) 1Sofern es in der Praxis möglich ist, haben Versicherungsunternehmen die Solvabilitätskapitalanforderung direkt aus der Wahrscheinlichkeitsverteilungsprognose abzuleiten, die durch das interne Modell generiert wird. 2Das Risikomaß Value-at-Risk gemäß § 97 ist zu verwenden.

(3) Die Aufsichtsbehörde kann Annäherungen für die Berechnung der Solvabilitätskapitalanforderung zulassen, wenn die Solvabilitätskapitalanforderung nicht direkt aus der durch das interne Modell generierten Wahrscheinlichkeitsverteilungsprognose abgeleitet werden kann und die Versicherungsunternehmen der Aufsichtsbehörde nachweisen, dass den Versicherungsnehmern ein Schutzniveau entsprechend § 97 Absatz 2 gewährt wird.

(4) 1Auf Verlangen der Aufsichtsbehörde ist das interne Modell auf einschlägige Benchmark-Portfolios anzuwenden. 2Dabei ist auf Verlangen der Aufsichtsbehörde von Annahmen auszugehen, die sich im Wesentlichen auf externe Daten stützen, um die Kalibrierung des internen Modells zu überprüfen und zu ermitteln, ob seine Spezifizierung der allgemein anerkannten Marktpraxis entspricht.


§ 119 Zuordnung von Gewinnen und Verlusten



1Die Versicherungsunternehmen haben die Ursachen und Quellen von Gewinnen und Verlusten jedes Hauptgeschäftsbereichs mindestens einmal jährlich zu untersuchen. 2Dabei prüfen sie, wie die im internen Modell gewählte Risikokategorisierung die Ursachen und Quellen der Gewinne und Verluste erklärt. 3Die Risikokategorisierung und die Zuweisung von Gewinnen und Verlusten müssen das Risikoprofil der Versicherungsunternehmen widerspiegeln.


§ 120 Validierungsstandards



(1) Versicherungsunternehmen müssen über einen regelmäßigen Modellvalidierungszyklus verfügen, der die Kontrolle des Leistungsvermögens des internen Modells, die Überprüfung der kontinuierlichen Angemessenheit seiner Spezifikation und den Abgleich von Modellergebnissen und Erfahrungswerten umfasst.

(2) Der Modellvalidierungsprozess muss ein wirksames statistisches Verfahren für die Validierung des internen Modells umfassen, mit dem gegenüber der Aufsichtsbehörde nachgewiesen werden kann, dass die mit Hilfe des internen Modells berechneten Kapitalanforderungen angemessen sind.

(3) Die angewendeten statistischen Methoden haben die Angemessenheit der Wahrscheinlichkeitsverteilungsprognose im Vergleich zu beobachteten Verlusten und zu allen wesentlichen neuen Daten und dazugehörigen Informationen zu prüfen.

(4) 1Der Modellvalidierungsprozess umfasst eine Analyse der Stabilität des internen Modells und insbesondere die Überprüfung der Sensitivität der Ergebnisse des internen Modells in Bezug auf Veränderungen der wichtigsten Annahmen, auf die sich das Modell stützt. 2Er enthält auch eine Bewertung der Genauigkeit, Vollständigkeit und Angemessenheit der für das interne Modell verwendeten Daten.


§ 121 Dokumentationsstandards



(1) 1Der Aufbau und die Funktionsweise des internen Modells sind zu dokumentieren. 2Aus dieser Dokumentation muss hervorgehen, dass die Anforderungen der §§ 115 bis 120 eingehalten werden.

(2) Die Dokumentation enthält eine detaillierte Erläuterung der theoretischen Grundlagen, der Annahmen sowie der mathematischen und der empirischen Basis, auf die sich das interne Modell stützt, und beschreibt alle Konstellationen, in denen das interne Modell nicht wirksam funktioniert.

(3) Versicherungsunternehmen haben alle größeren Veränderungen an ihrem internen Modell (§ 111 Absatz 2) zu dokumentieren.