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Abschnitt 4 - Wehrdisziplinarordnung (WDO)


Teil 3 Ahndung von Dienstvergehen durch Disziplinarmaßnahmen

Kapitel 3 Das gerichtliche Disziplinarverfahren

Abschnitt 4 Allgemeine Vorschriften für das gerichtliche Disziplinarverfahren

§ 85 Verfahren gegen frühere Soldatinnen und frühere Soldaten



(1) Durch eine Versetzung in den Ruhestand oder ein sonstiges Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis ohne Verlust des Dienstgrades wird die Fortsetzung eines schwebenden gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht berührt.

(2) 1Ein Ausgleich oder eine Übergangsbeihilfe darf vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens nicht gezahlt werden. 2Auf Antrag der früheren Soldatin oder des früheren Soldaten kann die Wehrdisziplinaranwaltschaft es für zulässig erklären, dass der Ausgleich oder die Übergangsbeihilfe ganz oder teilweise zu einem früheren Zeitpunkt gezahlt wird. 3Die Entscheidung der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist der früheren Soldatin oder dem früheren Soldaten zuzustellen. 4Lehnt die Wehrdisziplinaranwaltschaft den Antrag ab, so kann die frühere Soldatin oder der frühere Soldat innerhalb eines Monats nach Zustellung die Entscheidung der oder des Vorsitzenden der Truppendienstkammer beantragen. 5Die Entscheidung der oder des Vorsitzenden ist endgültig. 6Ist das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht anhängig, treten an die Stelle der Wehrdisziplinaranwaltschaft die Bundeswehrdisziplinaranwältin oder der Bundeswehrdisziplinaranwalt und an die Stelle des Truppendienstgerichts das Bundesverwaltungsgericht.

(3) Gegen eine frühere Soldatin oder einen früheren Soldaten kann ein gerichtliches Disziplinarverfahren nur wegen eines vor Beendigung des Dienstverhältnisses begangenen Dienstvergehens oder wegen einer Handlung eingeleitet werden, die nach § 23 Absatz 2 des Soldatengesetzes als Dienstvergehen gilt.


§ 86 Aussetzung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens



(1) 1Ist gegen die Soldatin oder den Soldaten wegen des Sachverhalts, der dem gerichtlichen Disziplinarverfahren zu Grunde liegt, im Strafverfahren die öffentliche Klage erhoben worden, so wird das gerichtliche Disziplinarverfahren ausgesetzt. 2Die Aussetzung unterbleibt oder das Verfahren ist fortzusetzen, wenn die Sachaufklärung gesichert ist oder wenn im Strafverfahren aus Gründen nicht verhandelt werden kann, die in der Person oder in dem Verhalten der Soldatin oder des Soldaten liegen.

(2) Das gerichtliche Disziplinarverfahren ist spätestens nach Abschluss des Verfahrens, das zur Aussetzung geführt hat, fortzusetzen.

(3) 1Das gerichtliche Disziplinarverfahren kann ausgesetzt werden, wenn in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren über eine Frage zu entscheiden ist, deren Beurteilung für die Entscheidung im gerichtlichen Disziplinarverfahren von wesentlicher Bedeutung ist. 2Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 gelten entsprechend.

(4) 1Die Soldatin oder der Soldat kann gegen eine Aussetzung durch die Einleitungsbehörde die Entscheidung der oder des Vorsitzenden der Truppendienstkammer beantragen. 2Die Entscheidung ist endgültig.


§ 87 Bindung an tatsächliche Feststellungen anderer Entscheidungen



(1) 1Die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren oder im Bußgeldverfahren, auf denen die Entscheidung beruht, sind im gerichtlichen Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für die Einleitungsbehörde, die Wehrdisziplinaranwaltschaft und das Wehrdienstgericht bindend. 2Das Wehrdienstgericht hat jedoch die nochmalige Prüfung solcher Feststellungen zu beschließen, deren Richtigkeit seine Mitglieder mit Stimmenmehrheit, bei einfacher Besetzung der Truppendienstkammer mit der Stimme der oder des Vorsitzenden, bezweifeln. 3Dies ist in den Urteilsgründen zum Ausdruck zu bringen.

(2) Die in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind nicht bindend, können aber der Entscheidung im gerichtlichen Disziplinarverfahren ohne nochmalige Prüfung zu Grunde gelegt werden.


§ 88 Verhandlungsunfähigkeit oder Abwesenheit der Soldatin oder des Soldaten bei gerichtlichen Disziplinarverfahren



(1) Der Einleitung oder Fortsetzung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens steht nicht entgegen, dass die Soldatin oder der Soldat

1.
verhandlungsunfähig ist oder

2.
durch Abwesenheit an der Wahrnehmung ihrer oder seiner Rechte gehindert ist.

(2) 1Auf Antrag bestellt das Betreuungsgericht, damit die Soldatin oder der Soldat ihre oder seine Rechte in dem gerichtlichen Disziplinarverfahren wahrnehmen kann, als gesetzlichen Vertreter

1.
im Fall des Absatzes 1 Nummer 1 einen Betreuer oder

2.
im Fall des Absatzes 1 Nummer 2 einen Pfleger.

2Ist die Soldatin oder der Soldat noch nicht 18 Jahre alt, so erfolgt die Bestellung durch das Familiengericht auf Antrag.

(3) Als gesetzlicher Vertreter darf nur eine Soldatin oder ein Soldat bestellt werden.



§ 89 Zeuginnen und Zeugen sowie Sachverständige



(1) Die Vereidigung von Zeuginnen und Zeugen sowie Sachverständigen ist nur zulässig, wenn sie zur Sicherung des Beweises oder mit Rücksicht auf die Bedeutung der Aussage oder als Mittel zur Herbeiführung einer wahren Aussage erforderlich ist.

(2) 1Im Wege der Rechtshilfe können außer den Truppendienstgerichten im Inland nur die Amtsgerichte um die eidliche Vernehmung von Zeuginnen und Zeugen sowie von Sachverständigen ersucht werden. 2Ein an das Truppendienstgericht gerichtetes Ersuchen wird durch eine Richterin oder einen Richter ausgeführt.


§ 90 Unzulässigkeit der Verhaftung



Die Soldatin oder der Soldat darf im gerichtlichen Disziplinarverfahren nicht verhaftet werden.


§ 91 Gutachten über den psychischen Zustand



1Das Truppendienstgericht kann die Soldatin oder den Soldaten nach Anhörung einer oder eines Sachverständigen und der Verteidigerin oder des Verteidigers zur Vorbereitung eines Gutachtens über ihren oder seinen psychischen Zustand in ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus oder in ein Bundeswehrkrankenhaus zur Beobachtung einweisen. 2Hat die Soldatin oder der Soldat keine Verteidigerin oder keinen Verteidiger, ist ihr oder ihm eine Verteidigerin oder ein Verteidiger zu bestellen. 3Der Aufenthalt in dem öffentlichen psychiatrischen Krankenhaus oder dem Bundeswehrkrankenhaus darf die Dauer von sechs Wochen nicht überschreiten.


§ 92 Ladungen



1Soldatinnen und Soldaten werden zur Hauptverhandlung sowie zu sonstigen Vernehmungen dienstlich gestellt, auch wenn sie Zeuginnen und Zeugen oder Sachverständige sind oder als Vertrauenspersonen in der Hauptverhandlung angehört werden. 2Bei der Bekanntgabe des Termins ist der Soldatin oder dem Soldaten die Ladung auszuhändigen. 3Frühere Soldatinnen und frühere Soldaten sowie andere Personen werden unmittelbar geladen.


§ 93 Verteidigung



(1) In jeder Lage des Verfahrens hat die Soldatin oder der Soldat das Recht, sich des Beistands einer Verteidigerin oder eines Verteidigers zu bedienen.

(2) 1Hat die Soldatin oder der Soldat noch keine Verteidigerin oder keinen Verteidiger gewählt, so muss ihr oder ihm die oder der Vorsitzende der Truppendienstkammer auf Antrag oder von Amts wegen eine Verteidigerin oder einen Verteidiger bestellen, wenn die Mitwirkung einer Verteidigerin oder eines Verteidigers geboten erscheint. 2In jedem Fall ist eine Verteidigerin oder ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Soldatin oder der Soldat

1.
verhandlungsunfähig ist,

2.
durch Abwesenheit an der Wahrnehmung ihrer oder seiner Rechte gehindert ist oder

3.
noch nicht 18 Jahre alt ist.

(3) 1Verteidigerin oder Verteidiger vor dem Truppendienstgericht kann sein

1.
eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt,

2.
eine andere Person, die die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz hat, oder

3.
eine Soldatin oder ein Soldat.

2Als Verteidigerin oder Verteidiger vor dem Bundesverwaltungsgericht ist nur eine Person zugelassen, die die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz hat.

(4) Der Verteidigerin oder dem Verteidiger steht das Recht, Einsicht in die Akten zu nehmen, im gleichen Umfang zu wie der Soldatin oder dem Soldaten.

(5) 1Es sind ermächtigt, für die Soldatin oder für den Soldaten Zustellungen und sonstige Mitteilungen, nicht aber Ladungen in Empfang zu nehmen:

1.
die bestellte Verteidigerin oder der bestellte Verteidiger,

2.
mit nachgewiesener Bevollmächtigung die gewählte Verteidigerin oder der gewählte Verteidiger.

2Für den Nachweis der Bevollmächtigung in den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 genügt die Übermittlung einer Kopie der Vollmacht durch die Verteidigerin oder den Verteidiger. 3Die Nachreichung der Vollmacht im Original kann verlangt werden; hierfür kann eine Frist bestimmt werden.

(6) 1Wird der Verteidigerin oder dem Verteidiger zugestellt, so wird die Soldatin oder der Soldat hiervon zugleich unterrichtet; dabei erhält sie oder er formlos eine Abschrift der Entscheidung. 2Wird eine Entscheidung der Soldatin oder dem Soldaten zugestellt, so wird die Verteidigerin oder der Verteidiger hiervon zugleich unterrichtet, auch wenn eine Vollmacht bei den Akten nicht vorliegt; dabei erhält sie oder er formlos eine Abschrift der Entscheidung.

(7) Wird eine Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte bewirkt, so richtet sich die Berechnung einer Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung.


§ 94 Ergänzende Vorschriften



(1) 1Zur Ergänzung der Vorschriften dieses Gesetzes über das gerichtliche Disziplinarverfahren sind die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes, insbesondere über Sitzungspolizei, Gerichtssprache, Beratung und Abstimmung, und die Vorschriften der Strafprozessordnung anzuwenden, soweit dem nicht die Eigenart des gerichtlichen Disziplinarverfahrens entgegensteht. 2An die Stelle der in diesen Gesetzen genannten Fristen von einer Woche tritt jeweils eine Frist von zwei Wochen. 3Der Siebzehnte Titel des Gerichtsverfassungsgesetzes ist entsprechend anzuwenden mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Bundesgerichtshofs die Wehrdienstsenate beim Bundesverwaltungsgericht treten und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt; auf das Verfahren der Wehrdisziplinaranwaltschaft vor Vorlage der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht sind sie jedoch nicht anzuwenden.

(2) Die Wehrdienstgerichte entscheiden mit einfacher Stimmenmehrheit.